Verhasste Mathestunden, in denen ich mit trockenem Mund saß und hoffte, dass ich nicht aufgerufen würde. Der leere Kopf vor der Tafel, die zitternden Hände beim Lösen einer Aufgabe, die Angst, mit einer verpatzten Schularbeit nach Hause zu gehen… Das alles schießt mir durch den Kopf, während ich in der Theaterhalle 11 die Generalprobe von „Der Schüler Gerber“ mitverfolge. Isabella B. Preuer tänzelt derweil durch den Raum und filmt mit. Das Ergebnis – ein Trailer und eine (wie wir hoffen) unwiderstehliche Versuchung:
Link: https://www.youtube.com/watch?v=m_z1biiosO4&feature=youtu.be
Schülerrebellion anno 1930.
Der 1930 erschienene Roman „Der Schüler Gerber“ von Friedrich Torberg erzählt eine alte, aber in vielerlei Hinsicht aktuelle Geschichte: Ein begabter Schüler (Kurt Gerber), ein erbarmungsloser Lehrer (Mathematiklehrer Kupfer) der seine eigenen Mittelmäßigkeit vertuschen muss, Klassenkameraden zwischen Mittäterschaft und Solidarität, das Klassenzimmer als Arena.
Vorsichtige Inszenierung.
Dynamisch aber vorsichtig inszeniert Angie Mautz die Bühnenfassung von Felix Mitterer. Mautz’ „Gerber“ geht wenig Risiko ein, arbeitet jedoch einige vertraute und wichtige Aspekte heraus. Zwischen Schulmädchen- und Schulbubenschwärmereien, Aufsässigkeit, Rotz-Rebellion und Teenage Angst führt Mautz ihr Ensemble junger Schauspieler_innen. Die Erfahreneren (Kuchinka, Zaucher, Stromberger und Sommerfeld) fügen sich ein, unterstützen. Das junge Ensemble ist gut aufeinander eingespielt (auch wenn die Rädchen bei der Generalprobe noch nicht ganz so rund laufen) und zwingt uns hinzusehen: Kupfers Machtmissbrauch, Mobbing, Leistungs,- Erwartungs- und Anpassungsdruck seitens der Eltern. Das alles ist roh und unmittelbar.
Alexander Kuchinka – als dämonischer „Gott Kupfer“ der Stärkste im Ensemble, auch weil die Rolle am dankbarsten ist – kultiviert das Schülerquälen, macht es zum Sport, und gibt „seinem“ zu Beginn etwas stumpfen Gerber – Christopher Schulzer – gnadenlos-sadistischen die Peitsche. Dieser widersteht, gibt nach, erniedrigt sich und resigniert, zu früh wie ich meine. Der Konflikt wirkt in der ersten Hälfte unausgereift und etwas skizzenhaft, wird aber in der zweiten Hälfte (wohl auch durch die Darbietung von Jasmin Joainig) konkreter.
Der Druck wird immer größer, intensiviert durch repetitive Klassenraumszenen, in denen Gerbers Zerfall akribisch dokumentiert wird. Diese Szenen werden zwischendurch mühsam, haben aber den gewünschten „grinding down“-Effekt. Der Wind als akustisches Leitmotiv (Kudos an Michael Rainer und Dominic Zimmel für das Tondesign) bereitet die Zuschauer auf ein Ende vor, das alle bereits kennen, das aber trotzdem überrascht.
Bei der gefürchteten Matura dringt Kuchinka dann sogar in den Zuschauerraum ein und macht auch ihn zu Kupfers’ Herrschaftsgebiet. Wenn das passive Sitzen und Schauen durch diesen kleinen Schock unterbrochen wird, knistert die Luft. Dann passiert Theater ganz „nahe am Publikum“ und so etwas gefällt mir immer gut.
Fazit: Etwas moderner und härter hätte dieser „Gerber“ sein können, aber das Junge Theater Klagenfurt bietet eine sehenswerte, emotional breit angelegte Performance, die Diskussionsräume öffnen kann.
Schülerrebellion anno 2016.
Das Klassenzimmer ist immer noch eine Arena, aber in der Zwischenzeit ist das Schulsystem selbst zum Täter geworden. Gerade in einer Zeit, in der ein System regiert, das sich mehr und mehr dem Ziel verschreibt, funktionierende, unreflektierte Maschinchen zu formen, die auf eine Frage wie dressiert reagieren, anstatt kritische Menschen zu „bilden“, scheint mir der hier präsentierte, schmerzhafte Konflikt wichtig. Kupfer ist im heutigen Schulsystem eine (kurzweilige) Ausnahmeerscheinung, doch auch das Rebellieren ist längst in Vergessenheit geraten!
Spielort:
Theaterhalle 11, Messeplatz 1, Klagenfurt
Tickets:
Kartenreservierung unter 0699/1133 7867
21€ oder 16€ ermäßigt
Vorverkaufskarten auch bei der Buchhandlung Heyn erhältlich.
Termine:
16.8., 17.08. und 18.08. – jeweils um 20 Uhr
21.08., 23.08., 24.08., 25.08., 26.08., 27.08. und 30.08. – jeweils um 20 Uhr
Weitere Infos/Kontakt:
jungestheaterklagenfurt@gmail.com
https://www.facebook.com/JTK-Junges-Theater-Klagenfurt-111657078921210/?fref=ts
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