“Morgens gibt’s ein riesen Stück Brot, mit ganz wenig Marmelade und Butter. Um Tee oder Kaffee zu holen, musst du mit deinem metallenen Becher raus aus deiner Zelle; am Gang wird aus großen Töpfen ausgeschenkt.” Während ich mir Gedanken darüber mache, wie ich den Silvester-Kater wieder los werde, stellt sich PETER* Anfang Jänner ganz andere Fragen: Wie kann ich die wenige Marmelade am geschicktesten auf dem vielen Brot verteilen? Der Psychologie-Student verbringt die ersten Wochen im neuen Jahr IM KNAST. Freiwillig, mehr oder weniger, und nicht vor, sondern hinter verschlossener Tür. Und er ist nicht der erste, der sich auf dieses SELBSTEXPERIMENT einlässt.
Wer von der Polizei bei einem Verstoß gegen eine Verordnung erwischt wird, bekommt eine Geldstrafe. Wer die nicht zahlen kann, dem droht Freiheitsentzug. PAUL*, auch Psychologie-Student, hat’s ebenfalls erwischt, vor fast fünf Jahren. Und er hat sich für den Knast entschieden. Er ist einer der ersten, die diese Möglichkeit in den Klagenfurter Studentenkreisen bekannt gemacht hat. Viele sind gefolgt, die unterwegs am Radl ohne Licht, alkoholisiert oder mit Kopfhörern unterwegs waren.
Paul aber war zu Fuß unterwegs. auf dem Weg nach Hause: des Nachts und natürlich nicht mehr ganz nüchtern, dafür recht gut gelaunt. So gut gelaunt, dass er mit seinem Mitbewohner das ein oder andere Liedchen auf dem Heimweg geträllert hat: Ein Vergehen, weil Lärmbelästigung. Vielleicht haben sie so schief gesungen, der vorbeikommenden Polizeistreife hat es jedenfalls nicht gefallen. Seinen Personalausweis hatte Paul auch nicht dabei. Das hätte ihn, laut polizeilichen Bescheid 40 Euro gekostet. Oder Freiheitsstrafe. So stand’s im Anschreiben. Und weil Paul ein neugieriger Typ ist, hat er mal nachgefragt, um was es da geht:
“Ich hätte natürlich schon zahlen können, aber ich bin trotzdem hin und habe aus Interesse gefragt, was da die Freiheitsstrafe wäre. Das war im Brief als Option angegeben. Ich wollte wissen, wie lange das bei mir wäre. 70 Stunden haben sie gemeint.”
Seine Geldstrafe absitzen, darf nur der, der nachweisen kann, dass er nicht genug Geld auf dem Konto hat, und auch nichts zu verpfänden besitzt. Wer sich an seine Studienzeiten erinnert, weiß: da kann’s schon mal vorkommen, dass das Konto keine 40 Euro mehr aufweist. Und ums Verpfänden rumkommen, das scheint leicht zu gehen:
“Nicht jeder darf in den Knast: Es wird geschaut, ob du wirklich nichts am Konto hast und du musst einen Schrieb unterzeichnen, dass du nichts zum Verpfänden hast. Und ich musste dabei nicht mal lügen. Ich habe einen Zettel bekommen, wo gefragt wurde, ob ich einen Fernseher, einen Videorecorder oder ein Radio habe. Hab ich alles nicht. Tut mir leid, wir hatten 2011 damals. Dann war das durch und in den kommenden Wochen durfte ich antreten.”
An diesem Pfändungsnachweis hat sich bis heute nicht viel geändert. FRANZI*, eine weitere Psychologie-Studentin, die mir auch von ihren Erfahrungen im Knast erzählt hat, berichtet vom gleichen Schrieb aus dem Jahr 2014.
Nachdem bewiesen war, dass es nichts zu pfänden gibt, hieß für Paul, Peter und Franzi: Ab in den Häfen. Paul (der Sänger) hat für 40 Euro 70 Stunden bekommen, Franzi für 100 Euro (Kein Licht, mit Kopfhörern Fahrradfahren) 28 Stunden bekommen und Peter für 650 Euro (Mehrmals mit Kopfhörer oder telefonierend über rote Ampeln) 12 Tage.
[Just for the record: Andi* und Hannes*, die mir auch von ihren Knast-Erfahrungen berichtet haben, waren zusammen im Kittchen. Beide alkoholisiert geradelt. Andi hat für 1,08 Promille 550 Euro und sechs Tage Freiheitsstrafe bekommen, Hannes hat für 1,20 Promille 660 Euro aber nur fünf Tage Freiheitsentzug bekommen. Wie es zu den variablen Stundesätzen kommt, hat sich mir bisher nicht erschlossen. Ich habe aber auch nicht nachgefragt. Jeder Polizist, der das liest, und mir die Frage beantworten kann, sei herzlich dazu aufgefordert, mir zu schreiben.]
Der Häfen, den diese neugierigen Studentinnen und Studenten hier aufsuchen, ist nicht der Knast, mit all den Messerstechern und Massenmördern. Diejenigen, die ihre Geldstrafe nicht zahlen können, kommen ins Polizeianhaltezentrum (PAZ) in der St. Ruprechter Straße.
Aber was packt man ein für den Kurzurlaub im Knast? Franzi (28 h ) ist pragmatisch: “Ich habe mitgenommen: Mein Meditationskissen, meine Zahnbürste, einen Schlafanzug, ein Buch und ein bisschen was zu Schreiben. Ich hab eine Bekannte gefragt, die mal im Gefängnis gearbeitet hat und die meinte, auf der Polizeianhaltestation seien sie nicht so streng. Ich hab mich trotzdem nicht getraut, meine Yogamatte mitzunehmen. Ich wollte es nicht übertreiben. Ich hatte ja vor, viel zu meditieren, wofür ich eigentlich einen Wecker gebraucht hätte. Ich dachte mir, ich stelle mir den stündlich. Dafür habe ich mein altes Handy mitgenommen, wo die SIM-Karte nicht mehr funktioniert. Aber es hat eine Kamera-Funktion, weshalb ich es abgeben musste. Dann musste ich eben ohne meditieren.”
Die Motivationen, sich einsperren zu lassen, sind verschieden. Franzi (28 h) hat sich tierisch auf den Kurzurlaub vom Alltag und auf ihre ME-Time gefreut, auch Peter (12 Tage) wollte zur Ruhe kommen. Andi (6 Tage) und Hannes (5 Tage) hatten einfach nicht die Kohle oder die Lust, das gute Geld für so einen Scheiß auszugeben. Und Paul (70 Std) einfach neugierig auf ein Sozialexperiment, weil “wo kommt man schon mit solchen Leuten zusammen wie im Knast. Ich hätte ja beinahe dafür bezahlt, das erleben zu dürfen.”
Und so erzählt Paul auch am liebsten von seinen Zimmerkameraden und ich muss sagen – auch weil Paul so ein toller Geschichtenerzähler ist – ich werde ein bisschen neidisch auf die spannenden Begegnungen, die er da so hatte: Mit Achim, “dem hageren Jungen mit den degenerierten Zähnen”, der ganz schüchtern in der Ecke sitzt, oder mit Thomas, der “seine eigene Karikatur war: zu enge Jeans, schwarzes Hemd, eine Jeansjacke drüber, Cowboystiefel (schön spitz zulaufend), Vokuhila, Schnurbart, Goldkettchen und vor allem viele Armkettchen”. Aber trotzdem ein total sympathischer Typ, meint Paul. So ganz unbedarft geht der Psychologe mit solchen Begegnungen aber natürlich nicht um. Seine Eindrücke von Achim haben mir zu Denken gegeben:
“Der Achim war der typische Fall von auf die schiefe Bahn geraten. Schon früh von zu Hause weg, nie was von den Eltern bekommen, in den falschen Freundeskreis geraten und dann krass ins Drogenmilieu abgerutscht. Am zweiten Tag hatten wir recht Langeweile und ich habe ein Schachbrett aus Papier gebastelt. Wir haben gespielt und er hat mich einfach abgezogen. Da war er einfach besser als ich. Das fand ich beeindruckend. Man sieht da so einen abgefuckten Typen und merkt auf einmal: Der hat Potential. Das is ernüchtern und schade. Spontan will man helfen und weiß, dass das nicht geht. Du hast keine Macht.
Aber im Knast begegnet man sich eben auf Augenhöhe. Würde mir der am Bahnhof begegnen, wäre ich sofort der Studentenkopf und so. Und da war ich eben auch jemand, der Scheiße gebaut hat, da waren dann einfach weniger Berührungsängste. Allein deswegen hat sich’s schon gelohnt. Das war sehr spannend.”
Peter, der am längsten drin war, hat sich für ein Einzelzimmer entschieden. Die Mitsträflinge, denen er beim Rundgang begegnet ist, seien “so harmlos wie eine Vorlesung in Entwicklungspsychologie” meint er. “Ich mochte die: sie haben ganz andere Probleme, als zu überlegen, was sie wohl nach ihrem Studium machen wollen. Aber ich bin auch froh, dass ich ein Zimmer für mich hatte, denn ich habe festgestellt, dass beide mit einem außerordentlich fleißigen Mundwerk gesegnet sind, die Interessen von mir und den beiden sich jedoch eher gleichen wie Bären und Heuschrecken.”
Vor Peter habe ich eh am meisten Respekt. 12 Tage in einer Einzelzelle, das zehrt doch an den Nerven. Aber Peter mag die harte Nummer: “Als ich das Abendessen am ersten Tag erblickt hab (eine halbe Teewurst), entschloss ich mich, direkt noch eine Woche zu fasten.”
Alle habe ich gefragt, ob es nicht schrecklich ist, in einem Raum zu sein, an dem sich die Tür nicht öffnen lässt. Ich bin überrascht, dass sich meine Knacki-Freunde einig sind: Dass du deiner Entscheidungsfreiheit, deiner Freiheit zu Gehen, beraubt wirst, das nimmst du in dem Moment gar nicht war. Zumindest nicht für die paar Tage. Nur Peter erzählt davon:
“Es gibt keine bessere Übung, eine Situation, der man ausgesetzt wird, akzeptieren zu lernen ohne zu flüchten. Es war eine interessante Erfahrung, die ich aber nicht noch einmal machen muss, denn was ist ein Mensch schon, wenn ihm seine (wenn auch bedingte) Freiheit genommen wird?” – Deep Thoughts von einem so jungen Menschen.
Ich kenne inzwischen sechs Studis, die in den Knast gegangen sind und mir wird von immer mehr berichtet. Übrigens alles Psychologie-Studenten. Ich hoffe, dass dieser Text keinen bei der Polizei dazu veranlasst, diesen Pfändungs-Text zu ändern, es wäre zu schade, wenn dieses Selbstexperiment in Zukunft nicht mehr so einfach zu machen wäre. Franzi kann es nur empfehlen – für die ME-Time, und weil “es nur der Gedanke ‘Gefängnis’ ist, der halt so gruselig ist.”
* Namen geändert. Verständlicherweise.
Fotos: Elena Wecker
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