Gertie Magometschnigg und Gerald Stöckl vom SOS-Kinderdorf sorgen mit ihrer mobilen Familienarbeit dafür, dass Kinder nicht aus ihren Familien gerissen werden – auch wenn es dort Probleme gibt. Ein harter Job in einer oft verdrängten Realität, die weit von der „Reality“ entfernt ist mit der diverse Trash-TV-Sender Quote machen.
In unserer Serie BESSER IMSÜDEN.AT powered by MAZDA Austria geht es diesmal um die Mobile Familienarbeit des SOS-Kinderdorf Kärnten. SOS-Kinderdorf-Chef Gerald Stöckl und die pädagogische Leiterin Gertie Magometschnigg erzählen uns, wie wichtig es ist schwierige Familiensituationen vor Ort zu lösen, damit die Kinder am Ende nicht außerhalb der Familie untergebracht werden müssen.
IMSÜDEN.AT: Hallo, was versteht man unter mobiler Familienarbeit?
Gerald Stöckl: Im Grunde geht es darum, dass wir in den Familien vor Ort arbeiten können…
Gertie Magometschnigg: …wir begleiten Familien in schwierigen Lebenssituationen, bei Erziehungsproblemen, finanziellen Problemen und was eben so alles passieren kann.
IMSÜDEN.AT: Warum heisst es dann SOS-Kinderdorf, wenn ihr eh rumfahrt?
Gertie Magometschnigg Wir fahren zu den Familien hin und versuchen dort zu unterstützen, damit die Kinder nicht untergebracht werden müssen.
Gerald Stöckl: Ziel ist eine präventive Arbeit in den Familien, was natürlich für alle Beteiligten wesentlich besser ist.
IMSÜDEN.AT: Wie kommt ihr zu euren „Kunden“?
Gerald Stöckl: Die werden uns vom Jugendamt, der Kinder- und Jugendhilfe zugewiesen. Es gibt auch immer eine begleitende Sozialarbeiterin.
Gertie Magometschnigg: Wir versuchen dann die Probleme mit den Familien gemeinsam anzugehen. Wir unterstützen sie im Alltag, bei einem geregelten Tagesablauf, helfen ihnen den Haushalt in Ordnung zu halten, unterstützen sie bei Schulkontakten, geben Tipps für die Ernährung und auch für eine sinnvolle Freizeitgestaltung.
IMSÜDEN.AT: Kann man sich das so wie in diesen Sozialpornos vorstellen, mit denen RTL und RTL 2 Quote machen?
Gertie Magometschnigg: Überhaupt nicht! Diese Sendungen sind doch völlig übertrieben, verzerrt und banalisiert. Sie haben überhaupt nix mit unserer täglichen Arbeit zu tun.
IMSÜDEN.AT: Wie können wir uns das dann vorstellen?
Gertie Magometschnigg: Wir haben es meistens mit sogenannten „Multiproblemfamilien“ zu tun, aber es gibt auch fast immer ein vordringliches Thema, zum Beispiel Alkoholismus mit allen seinen Auswirkungen auf Job, Wohnung und so weiter. Für uns sind natürlich immer die Kinder und ihre Entwicklung zentral. Daher arbeiten wir hier vor allem familienstärkend und haben im Grunde das Ziel, uns selbst überflüssig zu machen. Wir leisten also Hilfe zur Selbsthilfe, trotzdem sind das oft sehr langfristige Begleitungen.
IMSÜDEN.AT: Wir stellen uns das jetzt schwierig vor, so tief in die Familien einzugreifen, gibt’s da nicht manchmal Abwerreaktionen?
Gerald Stöckl: Natürlich ist das ein massiver Eingriff in die Familien und daher geht es in erste Linie darum, ihr Vertrauen zu gewinnen und nicht zu verlieren. Wir dringen sozusagen in den privatesten Lebensraum ein und werden auch noch von „amtswegen“ hingeschickt, da ist es immer schwierig die Familien dazu zu bringen sich zu öffnen und uns nicht als Kontrollorgan, sondern als Unterstützung, wahrzunehmen.
Gertie Magometschnigg: Vertrauen ist die Grundlage für den Erfolg unserer Arbeit. Das bedeutet auch für die Familien da zu sein, auf Krisen zu reagieren und das oft auch zu ungewöhnlichen Zeiten.
IMSÜDEN.AT: Klingt nach einer komplexen Aufgabe und einer recht personalintensiven…
Gertie Magometschnigg Ja, genau! Allein im Raum Klagenfurt haben wir rund 24 Beraterinnen und Berater. Dazu kommt noch ein kleineres Team im Raum Villach. Insgesamt betreuen wir ca. 70 bis 80 Familien. Um zu den Familien zu gelangen hilft uns auch unserer langjährige Partnerschaft mit Mazda Austria, die uns zwei Fahrzeuge zur Verfügung stellen.
Gerald Stöckl: Sehr speziell bei uns in Kärnten ist der Pflegeelterndienst, wo wir in Kooperation mit der Kinder- und Jugendhilfe Pflegefamilien Unterstützung und Hilfestellung anbieten. Auf unserem Gelände in Moosburg haben wir mehrere Häuser für unsere Kinderdorfmütter mit ihren Kindern, Kinderwohngruppen, und unsere Krisenabklärung „barbakus“. Derzeit bauen wir noch das Hermann Gmeiner Ambulatorium neu, wo wir verschiedenste Therapien ambulant anbieten können.
IMSÜDEN.AT: Und? bringt’s was? Gibt’s Erfolge zu verbuchen?
Gerald Stöckl: Natürlich gibt es die. Wenn wir es durch die mobile Familienbetreuung schaffen die Kinder in ihrem familiären Umfeld zu belassen, dann ist das ein großer Erfolg, der uns auch in der stationären Unterbringung Ressourcen spart und so wiederum anderen hilft.
Gertie Magometschnigg: Unsere Erfolge sind auch oft die kleinen Schritte. Ich erinnere mich da zum Beispiel an eine alleinerziehende Mutter mit mehreren Kindern von mehreren Vätern. Eine ungewöhnliche Patchworkfamilie mit vielen Partnerkonflikten.
IMSÜDEN.AT: Ein Härtefall?
Gertie Magometschnigg: Ja, wenn man so will. Aber nach einer kurzen Phase der stationären Abklärung im Rahmen unseres Programms „Familien in Krisen“ (LINK), wo die Mutter und ihre Kinder gemeinsam untergebracht wurden, betreuen wir die Familie nun schon seit Jahren mobil. Die älteste Tochter ist zwar in einer Einrichtung, aber die anderen Kinder sind zuhause. Wir konnten mittlerweile dabei helfen eine gute Tagesstruktur für alle zu etablieren, und die Mutter hat auch ein größeres Verständnis für kindliche Bedürfnisse entwickelt. Die Kinder selbst konnten bereits einiges verarbeiten und bekommen auch Förderungen im medizinischen und therapeutischen Bereich. Wir haben das alles gemeinsam mit der Mutter erarbeiten können. Das ist sowas wie ein Erfolg in unserem Geschäft.
IMSÜDEN.AT: Pfuh… ein ziemlich hartes Geschäft, das ihr da habt. Wie seid ihr beide da reingeraten?
Gertie Magometschnigg: Ich komme aus der selbstständigen Familienarbeit, das hab ich jahrelang nach meinem Pädagogik und Psychologie Studium gemacht. Zum SOS-Kinderdorf bin ich über die Elternberatung gekommen, und habe dann immer mehr in diese Richtung gemacht. Heute habe ich die pädagogische Leitung für „Familien in Krisen“ und das „Eltern-Kind-Wohnen“.
Gerald Stöckl: Auch ich habe eine sozialpädagogische Ausbildung und eine im Sozialmanagement. Ich bin schon seit 16 Jahren beim SOS-Kinderdorf und habe seit kurzem die Leitung für Klagenfurt-Villach übernommen.
IMSÜDEN.AT: Man hört immer nur „Kinderdorf“ und hat dann so bestimmte idyllische Bilder vor Augen, von spielenden Kindern… Wie ist das ganze eigentlich entstanden, was macht das SOS-Kinderdorf aus?
Gerald Stöckl: Das SOS-Kinderdorf wurde 1949 Hermann Gmeiner in Österreich gegründet und ist seither eine echte Erfolgsgeschichte in fast allen Ländern der Welt. Ursprünglich ging es um die Unterbringung und den Unterricht von Kriegswaisen. Die Idee war simpel: Die Kriegswaisen waren in Großheimen untergebracht, ohne geschultes pädagogisches Personal. Sie brauchten eine familienähnliche Unterbringung, im Grunde eben eine Mutter, ein Haus, ein Dorf. So sind dann die Kinderdorfmütter entstanden. Das hat sich bis heute bewährt.
IMSÜDEN.AT: Also praktisch eh das erste Social Business überhaupt?
Gerald Stöckl: Naja, was heute als Social Business gehyped wird, ist nicht ganz das was wir tun. Aber wir betreiben schon Projekte, die in diese Richtung gehen. So haben wir zum Beispiel auch Beschäftigungsprojekte gemeinsam mit dem AMS. Das ist aber nicht unsere Kernkompetenz.
IMSÜDEN.AT: Wäre ja sonst auch Kinderarbeit. Aber im Ernst, wie schätzen Sie die Zukunft der Kinderdörfer ein?
Gerald Stöckl: Die Arbeit wird mehr. Gerade im familienstärkenden Bereich nimmt der Bedarf zu. Ein zukünftiger Schwerpunkt ist sicherlich der auf minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge. Da haben wir gerade in letzter Zeit in allen Bundesländern sehr gut gearbeitet und eine große Betreuungsdichte. Da sind wir für die Zukunft gut aufgestellt!
IMSÜDEN.AT: Da sind wir sicher! Wir wünschen euch auch weiterhin viele kleine Erfolge in eurer täglichen Arbeit!
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